Ausstellung zu "Engels Freiheit" in der Stadtbibliothek Osnabrück

Einführung von Herrn Staub
(Heimat- und Wanderverein Osnabrück e.V.)

Donnerstag, 12. Juli 2007, 19:00 Uhr

Mit Freude sehe ich, dass unsere Einladung ihr Interesse gefunden hat ...

Aus dem Nichts ist sie wieder da: Die Hinwendung der Deutschen zur Geschichte. Noch vor 15 Jahren dachten die wenigen Interessierten, die es noch gab, sie wäre für immer verschwunden; sozusagen im 20. Jhdt. untergetaucht, nachdem sie im 19. so dominierte.
Von gestern, von der Vergangenheit, wollte man bei uns lange Zeit höchstens dann etwas hören, wenn es weit weg war. Das hat sich auf radikale Weise geändert. Historische Romane stürmen die Listen. Sogar Krimiautoren suchen ihren Stoff im Osnabrücker Mittelalter.
Und jetzt haben wir Engels Freiheit. Einen Roman, dessen handelnde Personen hier bei uns, bei uns auf dem Lande gelebt haben. In Grambergen.

Jeder, der diesen Ort kennt, weiß: Das liegt in einer Ecke, wo sich Fuchs und Hase Gute Nacht sagen. Gut, dass auch Schledehausen mit zu den Schauplätzen im Roman dazugehört. Diesen Ort kennen viele von uns. Da gibt es die Schelenburg. Ich sage nur: Weserrenaissance.

Anke Waldmann hat die historischen Tatsachen ausgegraben, die dem Roman zugrunde liegen, im Jargon der Journalisten: die Recherche gemacht. Den Bissendorfern ist sie schon als Familienforscherin bekannt geworden. Einige Personen des Romans, auch das Mädchen Engel, (Dieser Mädchenname war vor 200 Jahren sehr beliebt) gehören zu ihrer Familie. Die Waldmanns haben über Jahrhunderte in Grambergen einen Bauernhof bewirtschaftet; ein Colonat nannte man ihn damals und nicht nur der gebildete Mensch, die Bäuerin war die Colona, der Bauer der Colon.
Katharina Gerlach hat dann die historischen Personen mit Geisteskraft zum Leben erweckt. Frau Gerlach kommt aus Bockenem, das liegt bei Hildesheim. Sie ist die diejenige, die einen Roman daraus gemacht hat.

Im Buch erfahren wir: Anke Waldmann hat das Hofarchiv auf dem Hausboden gefunden. Vielleicht wäre aber der Fund des Archivs ganz ohne Folgen geblieben, wenn es nicht eine besondere Zeit gewesen wäre, in der diese Aufzeichnungen beginnen. Es ist eine Zeit voller Spannungen, die Zeit nach der Französischen Revolution.
Mit der Revolution bricht die alte feudale Welt zusammen. Deren Traditionen und Werte gerieten schon ein Jahrhundert zuvor mit der anbrechenden Aufklärung ins Wanken. Bei uns hier, in Westfalen, hatte sich über Jahrhunderte eine alte Form des Rechtsverhältnisses zwischen Bauer und Grundherr erhalten. Wer einen Hof übernehmen wollte, musste sich und seine Nachkommen zu Eigen geben. Diese Hörigkeit, wie die Einschränkung der persönlichen Freiheit des Bauern genannt wurde, war eine milde Form von Abhängigkeit. Jetzt aber wurde sie ein Verstoß gegen das Menschenrecht der Freiheit der Person.
Nachdem die Leute auch im Osnabrücker Land von den wagemutigen Franzosen gehört haben, sehen sie vieles mit neuen Augen. Übergriffe der Grundherren, die es ja auch immer gab, wurden jetzt nicht mehr hingenommen.
Doch auch manch ein konservativer Adeliger fühlt sich wie auf einem Pulverfass. Im nahen Himbergen gibt es gerade einen Bauernaufstand gegen den Hammerstein in Gesmold, weil der seinen Müller einfach in den Turm gesperrt hat.
Seit längerem schon konnte ein Bauer Eigentümer seines Hofes werden, wenn er so viel Geld gespart hatte, dass er Lasten und Pflichten, die auf dem Hof lagen, ablösen konnte. Der Hof, auf dem er saß, war nicht sein Eigentum. Eigentümer konnte bisher nur ein freier Herr sein, ein Baron, ein Pfarrherr, aber auch ein Kloster, ein Kapitel und - wie bei den Waldmanns - gar ein Graf. Dieser musste nur bereit sein, den Hof zu verkaufen. Auch die Freiheit der Familienmitglieder auf dem Hof kostete Geld. Und damit sind wir beim Titel des Buches von Anke und Katharina:

Engels Freiheit

Manch ein Adliger lebte über seine Verhältnisse, konnte Bargeld gebrauchen und verkaufte gern. Aber da waren auch die Spekulanten. Sie kauften Bauernhöfe, um mit ihnen ihr Kapital sicher anzulegen und zu vermehren. Das waren selten die Angehörigen des Adels. Es waren reich gewordene Gastwirte, Kaufleute und später auch die Auktionatoren. Dies war eben auch Bestandteil der anbrechenden wirtschaftlichen Freiheit. Im Roman - soviel dürfen wir verraten - ist es der Meyer von Schledehausen, der sich als Spekulant betätigt. Er galt als reicher Mann. Seine Besitzungen konnten sich mit denen der Scheles von der Schelenburg durchaus messen lassen.

Doch am Leben und Arbeiten auf dem Bauernhof ändern die neuen Ideen nichts. Es geht seinen gewohnten Gang. Das Buch ist eine Fundgrube für den, der an der Darstellung der Arbeitsformen dieser Zeit interessiert ist. Sehr genau werden die Arbeitgänge mit den richtigen Begriffen dargestellt. Man erfährt, wie streng die Arbeit auf dem Bauernhof geregelt ist; wie auch Engel, die Tochter des Colon, sich Zeiten des Alleinseins sozusagen stehlen muss, wie die Nähe des Zusammenlebens auf dem Hof Geheimnisse gar nicht zulässt. Wenn im Durk der Colon die Colona liebt, können das auch die Kinder hören. Man erfährt etwas über die Regeln des Zusammenlebens, und dass die Hilfsbereitschaft nicht unter diesen von uns als hart empfundenen Verhältnissen leidet.

"Ein dröges Sachbuch", wird jetzt manch einer vermuten. Doch gerade das ist nicht daraus geworden. Bei aller sachlichen Darstellung bietet das Buch eine spannende Handlung, in deren Mittelpunkt das Denken und Handeln des Mädchens Engel steht. Für Spannung sorgt noch ganz nebenbei ein mysteriöser Fall, auf den ich hier jetzt nicht eingehen möchte. Der Leser kann mit der Hauptperson in die Zeit vor 200 Jahren sozusagen eintauchen und sich vom Schicksal der Menschen, von Glück und Unglück, von Gut und Böse gefangen nehmen lassen.

Auch für den geschichtlich gut unterrichteten Leser ist die Darstellung authentisch. Allein die Sprache ist es nicht. Diese war auf dem Lande in jener Zeit das westfälische Platt. Doch wer kann das heute noch lesen? Für den Leser, dem die Zeit vor 200 Jahren ganz fremd ist, haben die Autorinnen manches in einem Anhang noch einmal verdeutlicht.

Auch der an der heimatlichen Geschichte Schledehausens Interessierte kommt auf seine Kosten. Im Dorf Schledehausen ändert sich manches im Nebeneinander der Konfessionen. Bestimmungen, die über lange Zeit nur schwer ertragen werden konnten, werden jetzt nach langen Verhandlungen geändert.

Ich darf zum Schluss sagen: Den Autorinnen ist ein Buch gelungen, das jeder gelesen haben sollte, der ein Interesse am heimatlichen Lebensraum hat. Ein spannendes Lesevergnügen bekommt er gratis dazu.

Ich habe bisher keinen Roman kennengelernt, in dem der zeitliche Hintergrund so wahrheitsgetreu einbezogen ist.